Es gibt wohl kaum einen krasseren Schritt im Leben, als vegan zu werden. Noch schwerer ist es aber sich mit dem Thema von außen auseinander zu setzen, denn Veganismus ist komplex und es gibt wohl kaum eine andere, so vielseitige Bewegung. Darauf fallen auch regelmäßig Journalisten rein, die sich nicht tief genug einarbeiten können/wollen/dürfen. Den Nachteil haben allerdings wir veganen Menschen. Zeit, etwas dagegen zu tun.
Vegan aus den falschen Gründen?
Hauptsache vegan? Viele (omnivore) Menschen sehen Veganer_innen als eine Suppe. Wie in vielen Bewegungen ist aber auch hier die Gruppe sehr vielfältig.
Die meisten Veganer_innen sind nicht aus Eigennutz vegan, sondern für die (nichtmenschlichen) Tiere: Sie sollen weder für Menschen leiden noch sterben – und auch nicht leidfrei sterben. Andere sind “für die Umwelt” oder die eigene Gesundheit umgestiegen, sind in meinen Augen aber eher Pflanzenköstler. Und das Problem: Zu oft ist der Veganismus nicht einmal die beste Lösung für alle.
Omnis und Politik
Wenn es dir geht wie mir zu meinen “normalen” Zeiten, habe ich über das Thema nie wirklich nachgedacht. Ich wusste, dass Tiere sterben. Normal, denn die sind ja zum Essen gezüchtet worden. Stimmt’s? Das nennt Melanie Joy Karnismus. So denken 99% der Menschen in Deutschland, wenn man die Veganer_innen mal rausnimmt. Mit Vegetarier_innen sind es immerhin 90% – aber eben nicht sonderlich konsequent.
Hauptsache überall billiges Fleisch. Fleischerei, Discounter, Supermarkt, Restaurants, Imbisse, Cafés, Mensen und Cafétarias. Kuhmilch in jedem Haushalt, sogar politisch abgesegnet als Grundnahrungsmittel.
Das Erwachen
Jede_r Veganer_in hat irgendwann mal den Tellerrand gesehen und drüber geschaut. Dahinter wartet für nicht wenige ein Mix aus Weltschmerz und Depression. Für mich ein kaum zu ertragender Dauerzustand, der hinter jedem Tierprodukt Leid für empfindsame Lebewesen sieht. Nicht nur auf dem Teller. Das heißt nicht, dass leidfreies Töten überhaupt eine Option wäre. Das wäre ein Argument für’s Bullshit-Bingo.
Auch wenn “Erwachen” in der Esoterik ziemlich (negativ) ausgenudelt wurde, ist es doch recht treffend. Du darfst danach nur nicht vergessen, bei jeder weiteren Info kritisch zu bleiben. Nicht alles ist eine Verschwörung der Omnis. Der Mensch ist kein Pflanzenfresser gewesen, sorry, aber er kann es aber tun. Unter den heutigen Bedinungen.
Aus dieser Denke heraus sind viele uncoole Strömungen des Veganismus entstanden, die erstmal nichts mit vegan zu tun haben – aber eben parallel gelebt werden, in den (a)sozialen Medien sehr präsent sind und deshalb oft mit dem Veganimus oft in einen Sack gesteckt werden. Zum Leidwesen der Bewegung.
Missionieren
Neu-Veganer_innen neiden auch nach dem “Erwachen” zum Missionieren. Alle neuen Erkenntnisse erdrücken dich, nagen an deinem Gewissen – wieso merken es die anderen eigentlich nicht? Wieso sehen sie all das Leid nicht?
Viele werden dadurch schnell unkritisch. Vielleicht auch du? Niemand ist davor sicher, denn oft sind die Argumente einfach nur zu plausibel dargestellt.
Veganismus ist DIE LÖSUNG für fast alle Unstimmigkeiten in Sachen Umwelt oder Gesundheit.
Leider stimmt es aber fast genau so oft nicht. Aber versuch mal dagegen etwas zu sagen. Du wirst schneller von Veganer_innen aus den Gruppen, Kommentarsektionen oder Foren verbannt, als du Tofuschnitzel sagen kannst.
Es ist genau diese Art von Menschen, die uns Veganer*innen langfristig Probleme bereitet. Rollt der Info-Schneeball einmal, wird schnell eine Fake-Lawine draus. Oder was meinst du, wie Kettenbriefe schon immer funktionieren?
Wenn schon Aktivismus, dann aber bitte richtig.
Gesundheitsveganer_innen
Ich treffe die Art von Veganer_in in der Regel in der Riege der Gesundheitsveganer_innen. Hier gibt es die meisten Heilsversprechen, alternativen (pro)veganen Fakten oder einfach nur abstrusen, esoterischen Blödsinn.
Richtig wäre: Vegane Ernährung ist unter gewissen Umständen nicht ungesünder als eine omnivore Ernährung nach DGE-Standard. Du musst dazu aber wissen, wo du welche Nährstoffe herbekommst, welche andern Nahrungsmittel die Aufnahme hemmen oder fördern können. Und zwingend erforderlich ist eine sichere Vitamin B12 Quelle – zum Beispiel via Supplement. Bis dahin bleibt die Pflanzenkost eine Mangelernährung, eben weil es einen Nährstoff gar nicht gibt und andere verringert. Das kann man ohne Frage ausgleichen, aber ein „Mangel“ ist es dennoch.
Bei einigen Erkrankungen kann (!) die Pflanzenkost Vorteile haben. Es ist aber schwierig, das allgemeingültig immer wieder herauszuposaunen. Automatisch gesünder ist die Ernährungsform aber nicht. Es stirbt oder leidet eben im Idealfall kein Tier dafür.
Esoteriker und Wunderheiler
Wirst du jahrelang in deiner Echokammer belogen, ist der Blick hinter den Vorhang ein ziemlicher Einschnitt ins Leben. Zu viele sehen das als Argument dafür, dass “die da oben” oder “Lobbyisten” aktiv in allen Belangen lügen. Deswegen gibt es Verschwörungsmythen und -theorien von Wunderheilern, Impfgegnern und andere Menschen, die diese Angst und Ernüchterung befeuern und daraus Profit schlagen. Es wird zufälligen “Gurus” mehr geglaubt als der evidenzbasierten Wissenschaft.
Wenn du dich in den Kreisen bewegst, wirst du irgendwann hören: Kokosöl hilft eigentlich gegen alles, Kurkuma gegen Krebs, Bett umstellen gegen Krebs, Wildkräuter oder Rohkost gegen Krebs, Homöopathiebehandlung XY gegen Krebs … du erkennst sicher das Muster.
Aus einem eventuellen (nicht belegbaren) Einzelfall eine allgemeine Empfehlung zu machen ist mindestens grob fahrlässig.
Der Strudel geht immer weiter, irgendwann bist du dann bei Echsenmenschen aus der Hohlerde die die Menschen kontrollieren (sicher auch mich, weil ich mich dagegen ausspreche), Flacherde, Gedankenkontrolle durch “die da oben”, Lichtnahrung, Biosresonanz, Bachblüten, Impfen macht Krank, Homöopathie … irgendwann ist alles nur noch ein riesiger Klumpen an Gedankenmüll, dem du nicht mehr entkommen kannst.
Menschenverachtende Veganer_innen
Es gibt sie wirklich. Menschen mit menschenverachtender Gesinnung, die sich für den Tierschutz aussprechen. Menschen, die sich gegen moderne Erkenntnisse und Lebensweisen richten, gegen andere Menschen, gegen wissenschaftliche Erkenntnisse. Ausgerechnet die brüsten sich mit Tierschutz und Tierrecht in der Öffentlichkeit profilieren.
In der Regel werden die Argumente verkürzt dargestellt, Querfronttechniken angewandt oder auf ideologisch schwierige Kreise verwiesen. Schon in den 1930ern wurde von den Nazis das Tierthema instrumentalisiert: Hitler konnte Fleisch nicht gut verdauen und es fehlte der Nachschub; der Propagandaapparat hat kurzerhand den tierliebenden Führer daraus gemacht.
Eine sehr gute Übersicht zu dem Thema findest du in der Tierbefreiung #98. Die neuen und alten Taktiken sind ähnlich. (Btw. Nicht alles an dem Magazin finde ich gut)
Zurück zum Urschleim
Ich empfehle allen angehenden (und egal-wie-alteingesesenen) Veganer*innen sich mit dem Ursprungsgedanken zum Veganismus der Vegan Society auseinander zu setzen:
„A philosophy and way of living which seeks to exclude — as far as is possible and practicable — all forms of exploitation of, and cruelty to, animals for food, clothing or any other purpose; and by extension, promotes the development and use of animal-free alternatives for the benefit of humans, animals and the environment. In dietary terms it denotes the practice of dispensing with all products derived wholly or partly from animals.“
Heißt: So wenig wie möglich Tierprodukte im Leben. Im Idealfall gar keine.
Nicht mehr, und nicht weniger. Aber man muss es immer probieren und vor allem langsam angehen und nicht von Anfang an Perfektion erwarten.
Fakten, Fakten, Fakten
Zu einem gesunden Veganismus gehört meiner Meinung nach:
- mit der Faktenlage vertraut mache
- nur korrekte Fakten verbreiten
- sonst lieber nicht
- die richtigen Quellen zum Nachschlagen kennen
- mit Hirn voran surfen
- klar zwischen Veganismus und anderen Strömungen unterscheiden
- Videos ansehen: Korrelation vs. Kausalität & About Fake News
Die richtigen Fakten sind der Schlüssel zu einer nachhaltigen Bewegung.
Kritisiere deswegen Veganer_innen, die öffentlich Mist über Veganismus oder Esoterik, Verschwörungsmythen oder Heilsversprechen (unter veganem Deckmantel) abladen. Das gibt uns weniger Angriffsfläche. Erlaube aber auch Kritik an deinen Aussagen.
Gute Quellen für Kritik aus den inneren Reihen
Nichts ist glaubwürdiger als (konstruktive) Kritik aus den eigenen Reihen!
Egal ob du aus seriösen Studien, Büchern, Youtube-Videos oder anderen Quellen zitierst – du machst dich unbeliebt. Aber der Veganismus ist es mir wert.
Er muss nicht die Welt (allein) retten oder die gesündeste Ernährung sein – am Ende leiden und sterben weniger Tiere. Und das ist doch schon Grund genug, oder nicht?
Nutze deine Stimme!
Rechtsveganer, Gesundheitsveganer, Querfrontveganer, Esoterikveganer, erstmal gegen alles und dann sehen was übrig bleibt, was mir dann immer noch nicht gefällt ist sowieso scheiße, ne ? Alles in einen Topf, umrühren, fertig. Ich esse keine Tiere weil sie mir leid tun und ich gestehe jedem Menschen seine eigenen Gründe zu, da gibt es keine Wertung, wozu auch !? Dem Fisch ist es egal, warum ich ihn NICHT esse. Der Umwelt ist es egal, warum sie NICHT mit Gülle aus der Massentierhaltung verpestet wird. Und unseren Organismen ist es vollkommen Jacke, aus welchem Grund sie NICHT mit tierischen Kadavern befüttert werden(was tatsächlich wesentlich gesünder ist) In jedem dieser Fälle heiligt der Zweck die Mittel.
Danke für deinene Input. So hatte ich auch mal gedacht, allerdings ist diese „Hauptsache für die Tiere“ Denke nicht nachhaltig und eben nicht das, was wirklich helfen wird.
-> https://www.tierbefreiungsoffensive-saar.de/literatur/emil-franzinelli-hauptsache-f%C3%BCr-die-tiere/
Gute Einstellung! Finde ich auch wichtig, dass die Ammenmärchen von der veganen Wunderheilung dringend ausgemerzt gehören.
True dat.