Hast du mitbekommen, dass in Berlin eine komplett vegane REWE-Filiale aufgemacht hat? Könnte das die Kehrtwende sein, die sich viele vegan lebende Menschen so sehnlich wünschen?
Vegan in Berlin vs. Vegan woanders
Ein Grund für die Entstehung: Der vegane REWE ist nicht irgendwo, sondern in Berlin Friedrichshain. Wenn das irgendwo klappen kann, dann wohl da. Ort der Filiale ist auch nicht irgendwo, sondern in der Warschauer Straße, nahe dem RAW Gelände, einem der In-Kieze in Friedrichshain. Dort treffen partywütige Touristen auf Studierende, vor Ort lebende Familien und Menschen, die einfach dort in der Nähe arbeiten. Außerdem fährt unweit die U1 und verschiedene Trams. Und Kreuzberg ist auch nur eine Oberbaumbrücke weit weg.
Vegan in Berlin ist nicht nur hip, sondern auch in gewissen Kreisen auch schon Jahre vor dem Hype gelebte Realität. Es ist normal, wenn Freundeskreise vegan lebende Menschen in ihren Reihen haben. Es wird nicht misstrauisch beäugt und man wird nicht mit „das könnte ich nicht“ oder „ich esse ja auch nur noch ganz wenig Fleisch“ Sprüchen belegt. Das sieht in anderen Großstädten vielleicht ähnlich aus, meiner Erfahrung nach ist Berlin den anderen wieder einmal ein paar Jahre voraus.
Daher ist auch der gewählte Ort für REWE nur logisch – in einer konsumorientierten Stadt, in einem konsumorientierten Kiez, mit einem konsumorientierten Konzept und einer konsumorientierten Zielgruppe.
Wir erinnern uns: Ersatzprodukte werden nicht für die 1-2% vegan lebenden Menschen gemacht, sondern für die zahlenmäßig deutlich umfangreicheren „Flexis“, die damit etwas „Gutes“ für’s Gewissen und vermeintlich die Gesundheit tun wollen. Und selbst wenn man nur die 1-2% ansprechen will, sind 1-2% von 3,5 Millionen mehr als von den 1,7 Millionen in Hamburg oder den 650.000 in Düsseldorf. Der Markt regelt.
Veganz vs. REWE
An gleicher Stelle befand sich direkt davor schon ein veganer Laden: Veganz. Dabei handelte es sich um eine kleine Kette, die am Zenit 10 Filialen in Deutschland hatte, zuletzt aber nur noch die in Friedrichshain. Es gab vor allem vegane Produkte, die eher nach dem Modell „unabhängiger Bioladen“ ausgewählt waren und auch preislich in der Liga spielten. Für Menschen mit gehobenen Einkommen eine nette Möglichkeit, das Gewissen etwas rein zu kaufen. Für den Alltag war es allerdings eher nichts. Und Menschen mit wenig(er) Geld sowieso nicht. Vermutlich auch deshalb ist Veganz nun kein Laden mehr, sondern nur noch Hersteller veganer Produkte, die sich über Ketten wie Edeka, REWE und Co besser verkaufen als im eigenen Laden.
Der Vorteil von REWE gegenüber Veganz: Sie bieten Produkte an, die „alle“ Menschen auch aus den altbekannten Regalen bereits kennen. REWE hat selbst einige vegane Produkte im Sortiment – auch im „Ja-Sortiment“. Und mit REWE verbinden die meisten auch weniger diese pöhsen links-grün-versifften „Hipster-Studis“ und „Bio-Muttis“, sondern eben eine vermeintlich normale Supermarktkette.
Dabei soll es in dem Laden nicht nur die üblichen, rund 800 Produkte geben, die mal absichtlich und mal zufällig vegan sind, sondern etwa 1700. Zum regulären „REWE-Preis“.
Meine Meinung
Es ist kompliziert. Auf der einen Seite befürworte ich jeden Vorstoß, der vegane Produkte breiter etabliert und wenn in Berlin das Konzept aufgeht, dann gibt es vielleicht auch demnächst Versuche in Hamburg, Köln, Stuttgart und München. Durch das etwas „normalere“ Konzept werden auch tendenziell mehr Menschen angesprochen, sich einfach mal hinein zu trauen. Vielleicht entdecken sie ja dadurch, dass sie problemlos den Alltag (wenigstens weitgehend) bestreiten könnten. Und das, ohne ewig in den endlosen Reihen herkömmlicher Supermärkte nach dem Vegan-Label zu suchen. Oder die elitären Preise in Reformhäusern oder Bioläden zu zahlen.
Auf der anderen Seite: REWE ist eine riesige Handelskette. Die baut mit angrenzender Wahrscheinlichkeit keine vegane Filiale nach Berlin, wenn damit nicht wenigstens eine Image-Politur möglich ist. Ganz zu schweigen von dem finanziellen Vorteil, der damit vielleicht mitkommt. Immerhin ist die Ecke an der Warschauer Straße neben dem RAW-Gelände angesagt und einer der Tourismus-Hotspots.
Hier musst du selbst entscheiden, was für dich in Ordnung ist. Der Weg, das Ziel oder ein bisschen von beidem? Oder geht für dich vegan nur ohne Kapitalinteressen und nur per Eigenversorgung?
Für mich gilt: Wir leben alle in diesem System und müssen schauen, wo wir bleiben. Die Zeiten sind nicht einfach. Und die Lebenswelt sieht für alle etwas anders aus. Also solltest du keine Gewissensbisse haben, wenn dein Wocheneinkauf nicht im Biomarkt des Vertrauens mit Produkten von veganen Bauern nebenan geschieht, sondern dich auch zu REWE, Aldi oder LIDL trägt.
Die Ketten kannst du trotzdem weiterhin konstruktiv kritisieren. Möglichkeiten dafür bieten sie schließlich genug.
Video
Schau dir mal das Video von Mark Bennecke an. Ab ca. 06:00′ siehst du immerhin ein paar Einblicke. Der Rest des Videos ist Geschmackssache.
Hier geht es zur Pressemeldung von REWE selbst.