Kaum ein Buch (außer das von Niko) hat zuletzt in der veganen Szene so hohe Wellen geschlagen, wie „4 Beine gut, 2 Beine schlecht“ von Mira Landwehr. Sie selbst schreibt u.a. für das linke Magazin Konkret und wird in manchen Kreisen als „Ziehtochter“ von Jutta Dittfurth betitelt und ist als sog. „Fleischlinke“ seit Erscheinen des Buchs in ihrer Echokammer in den sozialen Medien bemüht, jegliche (auch berechtigte) Kritik ins Lächerliche zu ziehen.
4 Beine gut, 2 Beine schlecht
Ich habe das Buch mit dem an Orwells Animal Farm angelehnten Titel bereits vor Erscheinen geordert und druckfrisch erhalten – es ist schon ein paar Tage her, ich komme erst jetzt dazu, ein paar Zeilen dazu zu schreiben.
Für 15 Euro wird auf etwas über 100 Seiten laut Aufdruck der „Zusammenhang zwischen Tierliebe und Menschenhass in der veganen Tierrechtsbewegung“ erfasst. Das klingt spannend, denn es gibt diese Probleme tatsächlich.
Das Cover des Buches zieren Hitler und Blondi – ein Hinweis auf die Themen im Buch und klar in der Struktur von Konkret-Artikeln. Populistisch und mitunter stark verallgemeinernd. Ich verstehe ihre Idee dahinter, finde die Wahl allerdings mehr als fragwürdig und mindestens überzogen.
Das Buch
Die Idee finde ich super. Veganismus wird gerne als Deckmantel für krude Heilsversprechen, Esoterik-Schwurbelei oder politischen Bauernfang genutzt, da braucht es mal jemanden, der_die das grade rückt.
Das große Problem in Landwehrs Buch: Sie belegt ihre Aussagen einfach kaum oder gar nicht. Sie behauptet. Manchmal ist da ein Beispiel, nach Möglichkeit ein populäres. Von da wird dann auf den kompletten Verein („Der Fisch stinkt vom Kopf her“) oder auf die gesamte Bewegung geschlossen. Aussagen über die weiterführende Quantität gibt es nie.
Kritik an einer ganzen Szene (und dann auch noch so), zieht natürlich Kritiker an. Ein Kommentator bei Facebook nennt es sogar „Indyvegan der Bücher„. Landwehr amüsiert sich in ihrer Echokammer über den vermeintlichen Ritterschlag, da Indyvegan (IV) wirklich bis zum Verbot rechte Strukturen in der veganen Bewegung aufgedeckt hat – und deswegen ein gewisses Standing bei manchen hat. Mal mehr, mal weniger gelungen oder belegt, aber IIRC immer etwas polemisch und ohne Blatt vorm Mund. Je nach Standpunkt wurde die Seite auch als (haltlose) Hetze betitelt und letztendlich (u.a. von Einwirken eines berühmten, deutschen, veganen Unternehmers, der auch zum „Opfer wurde“) vom Netz genommen.
Selbstüberhöhung, Dahlke, Sea Sheperd, AftV
Ich muss dem Buch hoch anrechnen, dass es valide Punkte anspricht. Es gibt tatsächlich viele Probleme in der veganen Szene. Allerdings verkennt die Autorin, dass die angesprochenen Menschen und Vereine AUCH in der veganen Bewegung aktiv sind, ihre „Beweisführung“ aber nicht gegen den Veganismus oder seine Anhänger_innen gerichtet ist. Es hat nichts mit Veganismus zu tun, dass ein Buchautor auch Anhänger der vom Antisemiten Hamer erdachten Germanisch Neuen Medizin ist und Krebserkrankten empfiehlt, ihr Bett umzustellen, um Erdstrahlen zu vermeiden. Das ist vielleicht krude und antiwissenschaftlich, hat mit vegan aber herzlich wenig am Hut – der Autor verkauft nur den Inhalt seiner Bücher als vegan, hat aber mit Veganismus herzlich wenig zu tun.
Weitere Argumente von ihr: Vegane Menschen neigen zur moralischen Selbsüberhöhung (Beispiel: Lisa Simpson von The Simpsons) und sind aufgrund offen für rechte Strukturen bzw. rechtsdenkende Menschen (Beispiel: Gründer und einzelne Chapter von Anonymous for the Voiceless (AftV)) äußerten sich so bzw. grenzen diese nicht aktiv aus, sondern sehen im Schulterschluss kein Problem, solange sie für oder gegen die gleiche Sache demonstrieren oder an der Aktion teilnehmen. Daher sind alle AftV-Aktiven ebenso durchzogen mit dem Gedankengut.
Sie versäumt es leider auch, ihre „Definition“ von „rechts“ mit auf den Weg zu geben. Wo fängt das bei ihr an? Ab welcher Einstellung wäre eine Zusammenarbeit denkbar? Auch hier fehlt wieder die Quantitätsaussage. Es wird behauptet, verallgemeinert, aber wieder nicht ausreichend belegt – wie auch der Rassismusvorwurf von Attilla Hildman, der wenigstens eine Fußnote mit einem Link verdient hätte. So geht keine Analyse.
Bei ihr sind Tierrechte lediglich das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das ist rundherum unzureichend – Weinköniginnen würden daraus vermutlich sehr gern ein lückengefülltes Gesetz stricken.
Sie schafft es auch, sich innerhalb weniger Zeilen zu widersprechen:
- Die Tierausbeutung im großen Stil könne nicht durch den Konsumenten beendet werden, da wir in kapitalistischen Verhältnissen leben.
- Die Tierausbeutung im großen Stil könne unter kapitalistischen Verhältnissen „schrumpfen und vielleicht überwunden“ werden, „wenn [sie] absolut nicht mehr profitabel ist.“
Was stimmt denn nun?
Wahrer Kern
Das Schlimme ist wie bei der Esoterik: Einige Argumente und Schlüsse sind korrekt oder haben einen wahren Kern. Das Werk ist für mich keine gültige Analyse der veganen Szene, auch wenn einige Vereine und Personen (die ich hier aus rechtlichen Gründen nicht nennen möchte, da ich keine Lust auf Anwaltspost habe) eindeutig menschenfeindlich, rassistisch, esoterisch, gesundheits- und wissenschaftsfeindlich oder antisemitisch (uvm.) sind – es ist KEIN veganes Problem.
Veganer_innen sind mEn auch nicht überdurchschnittlich empfänglich für schwurbelige Inhalte und Denkweisen. Die würde ich eher im Reformhaus- bzw. Biosektor verorten, von denen eine Schnittmenge auch vegan lebt.
Der aktuelle Hype zieht Menschen in die „Szene“, die sich aus gesundheitlichen oder Umweltschutzgründen pflanzlich ernähren und medial als Veganer_innen verklärt werden. Ethische Veganer_innen, die ich wirklich dem Veganismus angehörig empfinde, sind für menschenfeindliche Thematiken, meiner Erkenntnis nach, weniger empfänglich, da sie verstanden haben, das Leid generell zu vermeiden ist. Den Schritt müssen manche Marxisten wohl erst noch gehen.
Fazit
Kennst du dich nicht im Veganismus aus, dann sind Veganer_innen am Ende des Buches wenigstens für dich bescheuert, denken esoterisch, laufen ihren Führungsgötzen blind nach und nehmen die jeweilige Meinung an, sind Rassisten, Antisemiten, Ökofaschisten – diese Menschen existieren, damit auch in der veganen Bewegung. Ob man es mag oder nicht.
Aber die denken nicht so, weil sie vegan leben und sie leben nicht vegan, weil sie so denken. Zwei Paar Schuhe und so … die Kausalkette ist leider nicht so einfach. Mitglieder_innen oder Landes-Chapter von dezentralen Gruppierungen haben keine Chance, sich in ihrer Welt abzugrenzen. Mitgegangen, mitgehangen.
Es gibt Menschen, die unter dem Deckmantel „Veganismus“ versuchen, Geld oder Mitglieder zu akquirieren. Die gilt es, sachlich zu nennen und anzuprangern; Und aus den wenigen hier genannten Beispielen nicht zu verallgemeinern. Tiere über den Menschen stellen schaffen gedanklich auch nur die allerwenigsten. Ein vermeintlich unpolitisches „Hauptsache für die Tiere“ begegnet mir da schon häufiger. Es reicht aber nicht, um eine gesamte Bewegung zu denunzieren oder diskreditieren.
Mira Landwehr
Die selbst von der veganen oder linken Szene als „Nestbeschmutzerin“ und „Fleisch-Linke“ betitelte Autorin schreibt auch für das Konkret-Magazin. Das schlägt für mich oft über die Strenge und betrachtet Dinge teils genauso einseitig und populistisch – ein Muster? Landwehr schreibt auch auf dem von mir geschätzten teil-veganen Blog „Auf dem Nachttisch“ über Bücher, zuletzt auch über mehrere vegane Themen und esoterische Auswüchse.
Soweit ich weiß, lebt die Hamburgerin vegan, vor allem aus intersektionellen und konsumkritischen Gründen und ist politisch „weit außen Links“ (vermutlich Orthodox-Marxistisch oder mindestens sozialistisch im Marx-Engels-Sinne) zu verorten und sieht vor allem im Kapitalismus die größte Problematik.
Ihre Einstellung versäumt es leider, die individuelle Beschäftigung des Mensch-Tier-Verhältnis zu betrachten, was die ethische Komponente mindestens schwierig, wenn nicht gar unmöglich, macht. Generell fehlt es erfahrungsgemäß der Linksaußen-Linken an Tierthemen. Mit einem Systemwechsel geht es den Tieren eben nicht automatisch besser. Oder wie war das im Sozialismus bzw. Kommunismus – bzw. denen, die sich so betitelt haben, weil das Idealkonstrukt bisher mit den Menschen nicht machbar war.
Wer mit Köpfchen durch die vegane Welt geht, braucht das Buch nicht lesen. Stattdessen empfehle ich die Interviews und das Review von Colin Goldner.
Video
Ein Einblick von ihr selbst bei einem Vortrag verlesen, gibt es hier: