Veganismus in den Medien: Was ist dran an den Behauptungen?

Veganismus in den Medien: Stimmt das Bild in Social Media und Online-Zeitungen über Menschen, die vegan leben? Trinken alle Veganer:innen Chiasmoothie am Pool auf Bali? Oder essen Avocado mit Gojibeeren zu ihrem Quinoa-Bratling? Am Beispiel der Biografie des „Woid Woife“ möchte ich ein paar Punkte ansprechen. Ein paar Aussagen in einem Kapitel des sonst eigentlich lesenswerten Buches zeugen leider von wenig Kenntnis einer pflanzlichen Ernährung. Es folgt meine Meinung. Konstruktive Kommentare erwünscht.

Woid Woife

Wer ihn noch nicht kennt: Woife aka Wolfgang Schreil ist ein Mensch aus Bayern, den ich als radikalen (?) Naturschützer einordnen würde. Er setzt sich mit Leibeskräften (und über diese hinaus) für die Tiere und den Wald seiner Heimat ein. Er konnte die touristische Erschließung in Teilen verhinden, dokumentiert Tiere, lebt (zeitweise) in einem Bauwagen im Wald, hilft kranken Tieren – direkte Solo-Aktionen – und hat darüber eine Biografie geschrieben. Kudos erst einmal für seine Aufopferung. Grundlegend halte ich das Buch für lesenswert, kurzweilig und informativ, kein literarischer Hochgenuss, aber den Anspruch hat das Buch auch nicht. Leider gibt es ein Kapitel im Buch, das vor komischen Gedanken und falschen Schlussfolgerungen nur so strotzt.

Es geht um „WARUM DIE ALLERMEISTEN VÖGEL NICHT DEN FEHLER MACHEN, IHRE BABYS VEGAN ZU ERNÄHREN“ und das wilde Haselhuhn, das eigentlich vegan lebt, aber die Kinder während der ersten Zeit mit Würmern, Käfern etc. ernährt. Und er schlägt direkt den Bogen zu den Menschen.

Allein der Titel verheißt gedanklich nichts Gutes. Es folgt tatsächlich ein unreflektierter Seitenhieb auf veganlebende Menschen. Da hilft es auch wenig, dass er Respekt zollt, für alle, die Erwachsen vegan leben. Während er aber Wüschtl und Co niemals verschmähen würde, weil er ja weiß, wie „Tiere gelebt haben und geschlachtet werden und alles von ihnen isst“. Überhaupt nur von glücklichen Tieren. Tipp: Falls du Veganes-Bullshit-Bingo spielst, Kreuz nicht vergessen.

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Buchcover „Woid Woife – Mein Leben im Wald“, (C) Benevito Verlag

Ein Teil, zitiert aus dem o.g. Kapitel (kauft das Buch, es bietet dennoch schöne Einblicke in sein Leben und was ein einzelner Mensch bewegen kann):

Umso weniger verstehe ich Leute, die ihre kleinen Kinder vegan ernähren. Das ist für meine Begriffe nicht nur absolut widernatürlich, sondern hirnrissig. Ich werde nie kapieren, wie man einen winzigen Menschen, der hilflos den Entscheidungen seiner Eltern ausgeliefert ist, bewusst abschneidet von wichtigen Nährstoffen.

Ein hervorragendes Beispiel für den Mix aus „anders gelernt und verinnerlicht“ und falschen Informationen, vermutlich durch Meinungsstarke und damit gut geklickte Produkte verschiedener Medienhäuser und Social Media. Das übliche Meinungsspektrum über Veganismus in den Medien.

Gescheite vegane Eltern werden natürlich ihr Kind auch vegan ernähren, sofern sie sich sicher sind, das alle Nährstoffe ins Kind rein kommen und es dem Kind gut geht. Es gibt Fachliteratur dazu. Ernährungsgesellschaften weltweit sind der Meinung „das passt, man muss aber ein paar Dinge beachten“. Und dazu kommen die handvoll Beispiele, die im antiveganen Bereich immer wieder durchgekaut werden – z.B. die anscheinend vegan lebenden Eltern, die ihrem Kind Reis- statt Muttermilch oder Pre-Nahrung gegeben hatten … oder die Hirnhautentzündung (?) mit Öl statt einem Arztgang behandelt haben. Natürlich prägt sich sowas negativ ein. Zum Glück gibt es diese Menschen nicht so oft. Viel mehr dieser Dummheiten dürften vermutlich unter Omnivoren passieren. Ich folgere also „Hört auf, Kinder omnivor zu ernähren!!!111elf“ (Kam der Sarkasmus an?)

Allerdings sollte auch nicht unter den Tisch gekehrt werden, dass es im Veganismus Menschen gibt, die tatsächlich aus Überzeugung so handeln würden. Daher wäre es nur richtig und wichtig, wenn beispielsweise die DGE endlich klare Aussagen und Empfehlungen trifft, statt latenze Abneigung in den Unterton zu schreiben – zumindest meinem Empfinden nach. Andere Ernähungsgesellschaften weltweit sind da (teils seit Jahrzehnten) weiter.

Ich weiß, dieses Thema ist hochkomplex und emotional aufgeladen, aber ich möchte trotzdem noch ein paar Worte dazu sagen: Jeder Erwachsene ist für sich selbst und für seinen Körper verantwortlich. Von mir aus kann jemand so lange nur Algen und Goji-Beeren oder sonst irgendein Superduper-Food essen, bis ihm Rasen auf der Haut wächst und Kraut aus den Ohren. Nicht falsch verstehen, ich habe höchsten Respekt vor Menschen, die konsequent sind und sich bewusst ernähren (mir würde das sicherlich auch nicht schaden).

Zum Glück bekommen alle Veganer:innen zum Veganstart einen solarbetriebenen Akku-Hand-Rasenmäher geschenkt. Ich kann mich vor Rasen auf der Haut kaum retten.

Ob seine Schlaganfälle nun dem Fleischkonsum zuzuordnen sind, ist fraglich. Sich konsequent gesund ernähren, wäre sicherlich ein guter Start. Aber mit Vegan hat das erst einmal nix zu tun.

Aber wenn ich lese, dass manche Veganer nicht nur ihre Kinder, sondern mittlerweile sogar ihre eigentlich fleischfressenden Haustiere mit Tofu und Seitan-Würschteln füttern, dann falle ich vom Glauben ab. Lasst uns in die Natur und auf die Tierwelt schauen und von ihr lernen, wie wichtig es ist, den Kleinen einen energiereichen Start ins Leben zu ermöglichen! Einen Chia-Samen-Smoothie habe ich dabei jedenfalls noch nie entdeckt.

Genau. Lasst uns so leben und handeln wie Tiere. Scheiß auf Sozialstaat, helft nicht den Kranken und Schwachen. Schickt sie einsam zum Sterben in den Wald. Esst die Kinder von Widersachern oder eure eigenen. Macht Kinder mit euren Kindern. Lernt von der Natur! Oder wo genau ist jetzt die Grenze?

Bei sog. Haustieren gehe ich sogar mit: Wenn ein Lebewesen bestimmte Nahrungsmittel nicht verträgt, sollte es nicht damit gefüttert werden. Wenn es potenziell möglich ist, das Tier gesund vegan zu ernähren, why not? Wenn der Hund Bock auf Saitan hat? Dann Hail Saitan und ab in den Schlund. Bei carnivoren Tieren wie Katzen bin ich mir nicht sicher, es geht wohl manchmal gut. Oft aber auch nicht. Aber bei Allesfressern wie dem Hund? Versuch macht kluch. Besser als Trockenfutter ist es vermutlich trotzdem, allein, weil vermutlich eher auf Nährstoffe geachtet wird.

Ich liebe Tiere und ich bin der erste Mensch, der aufschreit, wenn Tiere misshandelt werden. Aber genauso sollte man das mit den Menschen machen. Statt komplett auf tierische Produkte zu verzichten, halte ich es hier wieder mit einem gesunden Maß.

Was ist das gesunde Maß für „ein Tier essen, das andere schützen“? Spielt hier Erziehung eine Rolle? Oder ein Konstrukt, das Melanie Joy in ihrem Buch Karnismus nennen würde? Wann ist es gerechtfertigt, ein Lebewesen zu misshandeln und zu töten, wo doch erwiesener Maßen die Nährstoffe alle in Pflanzen sind? (Außer B12)

Kinderhand Rindermund mit Zunge jinen-shah-unsplash
„Kinder brauchen Kontakt zu Tieren“ (gern auch in Gefangenschaft), (C) Jinen Shah, unsplash

[…] Wir müssen wieder mehr Kontakt zu den Tieren haben! Manche Kinder wissen nicht einmal, dass die Filetstücke aus dem Kühlregal mal an einem Tier dran waren.

Korrekt. Mir war der Zusammenhang auch lange nicht klar. Verfehlung der Erziehung – aber nicht mit böser Absicht.

Jedes Dorf hatte früher mehrere Höfe. Ich bin mit Kühen, Schweinen und Hühnern aufgewachsen und habe miterlebt, wie sie geschlachtet und zu Wurst oder Fleisch verarbeitet wurden. Ich wusste, dass sie für uns Menschen gestorben sind, damit wir etwas zu essen haben.

Wieder: Erlernte Muster. „Damals“ war es eine andere Zeit. Er ist 1975 geboren und seine Eltern sind relativ sicher (Nach)Kriegsgeneration. Wissen und Erfahrungen geben sie natürlich an die Kinder weiter. Wie vegane Eltern heute auch.

Manchmal habe ich mich sogar geweigert, ein Stück Fleisch zu vertilgen, wenn ich die Kuh oder das Huhn besonders gemocht hatte oder die Sau vor dem Bolzenschuss heftig gequiekt hat. Wenn wir etwas kennen und mögen, dann wollen wir auch nicht, dass es leidet. Das ist doch klar!

Dem ist Nichts hinzuzufügen. Warum aber nicht alle Tiere respektieren und auch deren Leid und Tod möglichst vermeiden?

Genauso ist es mit der Verwertung. Mir wäre schon als Kind nicht eingefallen, ein Stück Fleisch wegzuwerfen. Das musste mir auch niemand beibringen. Ich habe als kleiner Pimpf bereits verstanden, dass jedes einzelne Teil des Tieres, das der Metzger da draußen auf dem Hof geschlachtet hat, wertvoll ist. Und geschmeckt hat es mir sowieso, sogar die Innereien.

Unsere Fleischproduktion findet aber mittlerweile abgeschirmt in riesigen abgelegenen Industrie-Anlagen statt. Der Mensch kann Respekt vor Dingen entwickeln, die ihm nah sind, die er bewusst wahrnimmt. Wie soll ich einem Kind die Würde einer Kuh erklären, wenn es noch nie in ihre großen klugen Augen geblickt hat?

Anscheinend sind manche Tiere nicht nah genug gewesen, wenn er keinen Respekt vor ihnen oder ihren Leben entwickelt haben. Nicht alle haben das Glück, ein seltener Auerhahn im Bayrischen Wald zu sein, den ein Mensch mit seiner Tatkraft vor der Verdrängung schützt.

Ist es würdevoll, für Andere zu sterben, wenn die Lust drauf haben, es aber nicht zum Leben brauchen?

Generell scheint er dem naturalistischem Fehlschluss zu unterliegen. Was in der „Natur“ passiert, das ist auch richtig für den Mensch und seine Zivilisation. Nun … Ja? Nein?

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Oatmeal Bowl am Pool in Bali – Inbegriff von veganem Influencer Lifestyle, (C) Alexandra Andersso, unsplash

Veganer:innen – die Außenwahrnehmung geprägt durch Medien und Hörensagen

Bei all den vermeintlich falschen Aussagen kann ich ihm aber keinen Vorwurf machen. Vermutlich hat er wenig Kontakt zu Veganer:innen. Wenn, dann vermutlich durch die privaten und öffentlichen Medienhäuser – und Social Media. Er lebt auf jeden Fall nicht ohne Medien, das merkt man dem Text an. Wir alle wissen, dass dort alles zu finden ist. Vor allem aber ist Menschen ein Vorwurf zu machen, die genau diese Informationen durch ihr Tun in die Welt setzen: Influencer, die „Vegan“ sind und das auch als Verkaufsargument für ihre Reichweite nutzen.

Leichtbekleidete Menschen sitzen am Pool, vielleicht nach der Sporteinlage aka Workout, und gönnen sich eine Schüssel Obst und Gemüse aus „lokalem Anbau“ – und nennen es Smoothie Bowl oder irgendwas anderes mit Bowl. Klingt auch besser als Obstteller. Das nächste Posting ist vielleicht ein Rezept und ein paar Halbwahrheiten über Chiasamen-Smoothies – eine Prise „so esse ich täglich“ hier, eine Portion „vegane Gesundheitsversprechen“ da, als Topping eine sinnliche Yogapose und fertig ist die stereotype Influencer-Pinnwand der lebenden Litfaßsäule.

DAS sind die Sachen, die viel geliked werden. Die sich verbreiten. Die sinnbildlich für den Veganismus stehen. Und das ist ein Problem. Ein Problem für den Veganismus. Denn exotische Superfoods sind kein Synonym für ein veganes Leben. Der fancy Lifestyle verkauft sich nur besser. Immer und überall. Denn es ist „besser“ als das, was Normalos im Leben haben. Man schmachtet sich glücklich. Oder in die Unzufriedenheit.

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Schützenswert, weil „Wild“? Oder was macht das Leben ion manchen Augen schützenswerter? (C) Siska Vrijburg, unsplash

Veganismus zeigen, wie er wirklich ist!

Auf Instagram oder TikTok werden Klicks nicht mit „Reis mit Scheiß“ oder unansehnlichem One-Pot-Brei gemacht. Geschmack lässt sich nicht fotografieren. Nicht mit stressigem, grauem Alltag, dem hastig reingedrückten Gemüsedöner, bevor der Alltag weiter geht. Persönliche Probleme oder unsichtbare Krankheiten – No Like for you today. Sorry.

Trotzdem wäre es ehrlich. Zeigt den Menschen doch einmal, wie bodenständig und real Veganismus sein kann? Ist das schon Aktivismus? Vermutlich. Vor allem wäre es nachhaltig und ohne falsche Gesundheitsversprechen oder Bilder von Menschen an exotischen Orten, die ihr Leben als Werbetafel nutzen.

Medienhäuser tun sich auch keinen Gefallen mit Halbwahrheiten, weil „vegan“ im Titel besser geklickt wird. Vor allem, wenn es kontrovers ist. Mögen allen Verantwortlichen die Ärmel beim Händewaschen runterrutschen.

Aber vermutlich liegt das Problem nicht nur bei „veganen“ Influencern oder Journalisten, sondern dem Mensch. Veganismus in den Medien ist dann wohl nur das Symptom.

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Linksveganer Sack

Der „Woife“ ist vor allem für seinen Speziesismus bekannt. Schade, dass du ihm eine Plattform gibst.