Vegan leben mit Bürgergeld (Hartz4): Unmöglich?

Über 5 Millionen Menschen in Deutschland leben von Bürgergeld. Statistisch gesehen sind 1-2% davon vegan. Ist das möglich?

Bürgergeld vs. Hartz4 vs ALG II

Bürgergeld ist alter Wein in neuen Schläuchen und ein neues Wort für Hartz4 bzw. ALG II bzw. Sozialgeld. In Deutschland leben 2023 etwa 3,9 Millionen laut Amt erwerbsfähige Menschen von dem Geld, zusätzlich 1,57 Millionen nicht-erwerbsfähige. Sinnvolle und berechtigte Kritik an dem Konzept gibt es genug – daher geht es hier nur darum, daraus das Bestmögliche zu machen. Und dümmliche und vermeintliche Gegenargumente werde ich hier auch nicht reproduzieren.

Wenn 1-2% aller Deutschen vegan leben, trifft das statistisch auch auf die Menschen zu, die aktuell von staatlicher Hilfe wie dem Bürgergeld leben. Vegane Ernährung gilt als teuer bzw. teuerer als die „normale“ Ernährung.

Ist das mit der Versorgungspauschale für Alleinstehende oder Familien mit Kindern überhaupt möglich? Geht vegan mit Bürgergeld?

Jocenter Idar Oberstein
Jocenter Idar Oberstein, (C) Nuckmann, Wikimedia

Versorgungspauschale 2023

Stand 2023 ist die Versorgungspauschale laut Regelsatz eines alleinstehenden Erwachsenen 34,7% des gesamten Bürgergeldes. Das sind im Monat 174,90€, täglich etwa 5,60€.

Kinder dürfen je nach Alter im Monat für maximal 93,51€ essen. Das sind 3,07€ am Tag – immerhin knapp 33% vom Bürgergeld.

Die Idee rührt daher, dass Kinder einerseits weniger Essen (Ausnahmen gibt es bekanntlich nicht – Schul- und Kitaessen ist auch überall günstig und gut *ironie off*) und die zusätzliche Versorgung daher weniger kostenaufwändig ist. Spezialkost (z.B. Ärztlich bestätigte Unverträglichkeiten, Allergien und Krankheiten) kann man beantragen. Veganismus ist keine Krankheit, sondern eine freiwillige Lebenseinstellung und berechtigt daher nicht für mehr Geld.

Bei einer Beispielfamilie mit 2 Erwachsenen ohne Erwerb und 2 Kindern (beide u12) bei einer Gesamtmiete von 800€ und 500€ Kindergeld (das abgezogen wird) liegt der Anspruch bei 1848 – laut einem Online-Rechner. Der prinzipielle Regelsatz dieser Fantasiefamilie liegt bei 1309€ plus Miete. Abzüglich der Miete und Internetkosten sind 1000€ übrig. Davon sind grob geschätzt 500€ für Essen und Trinken reserviert.

Abstimmung an der Kasse
Kein Geld, kein Stimmzettel, (c) Chris S / Pixabay

Kann sich eine Famile vegan von Bürgergeld ernähren?

Spoiler: Ja, aber …

Ist vegane Ernährung teurer?

Wichtig ist nun zu klären, ob eine vegane Verpflegung teurer ist als eine omnivore Mischkost.

Die Antwort ist simpel: Es kommt darauf an.

Eine pflanzliche Ernährung ist teurer, wenn man Aufschnitt/Wurst vom Tier mit der pflanzlichen Alternative aus dem Labor vergleicht. Oder Kuhmilch mit Haferdrink. Oder Fleisch mit veganem „Irgendwas im Schnitzel-Look“.

Pflanzliche bzw. vegane Alternativen haben nicht nur gerade eine Hype-Phase und sind „neu“, sondern sind anteilig kleiner und werden nicht wie die Tierindustrie teils mehrfach subventioniert.

Der Markt für Pflanzenkost ist nicht insgesamt nur kleiner (auch wenn er wächst), sondern in der Produktion auch teurer. Wobei die Einzelzutaten der meisten Produkte sehr, sehr kostengünstig sein dürften. Außerdem erlauben sich viele Hersteller einen Fantasieaufschlag für ihre veganen Alternativ- und Ersatzprodukte. Weil freie Marktwirtschaft und so. Das führt dann auch zu Umsatzplus bei Fleischkonzernen.

Agentur für Arbeit Dortmund
ARGE Dortmund, (C) Mathias Bigge, Wikimedia

Der Fokus einer günstigen und pflanzlichen Ernährungsweise sollte auf einer bestimmten Nahrungsmittelgruppe liegen:

Grundnahrungsmittel – günstig und lecker

Die Grundnahrungsmittel sind zum einen günstiger, zum anderen in guter Qualität nahezu überall das gesamte Jahr verfügbar. Obendrauf ist die Ökobilanz selbst bei Importware oft besser als von heimischen Tierprodukten.

  • (Vollkorn)Getreide, Pseudogetreide, Kartoffeln
  • Hülsenfrüchte
  • Gemüse
  • Obst
  • Nüsse
  • Pilze

Eine vegane Ernährung kann alle Nährstoffe liefern – mit Ausnahme von Vitamin B12. Diese Nahrungmittel gibt es frisch, eingelegt, getrocknet, gefroren – oder auf anderem Wege haltbar gemacht.

Pflanzliche Nahrungsmittel sind Hauptlieferanten für viele Nährstoffe, besitzen kombiniert die gesamte Bandbreite an essentiellen Aminosäuren (den Eiweiß-Bausteinen) – nur Soja hat sie alle. Übrigens: Soja, Quinoa und Amaranth gibt es neben den anderen Getreiden auch lokal.

Je weniger Verarbeitung Produkte erfahren haben, und je frischer sie sind (Tipp außerhalb der Saison: gefroren kaufen!), umso gesünder sind sie meist. Außerdem sind sie durch wenige Verarbeitungsschritte auch oft günstiger.

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Meist gut und meist günstig: Gemüse vom Markt

Beim Essen sparen

Die meisten Tipps dürften den meinsten schon bekannt sein. Um sicher zu gehen, schreibe ich sie aber trotzdem auf:

So kannst du beim Einkaufen und Essen sparen:

  1. Großpackungen kaufen
  2. Angebote beachten / vergleichen
    1. Discounter > Supermarkt > Bioladen
    2. Wochenmarkt kurz vor Ende besuchen
    3. Eigenmarken im Laden sind oft günstiger
  3. Plan / Einkaufsliste vorher machen
    1. Buch über Einkäufe führen
    2. Nie hungrig einkaufen
      1. wirklich nicht!
  4. Richtig lagern
    1. vieles ist über das MHD hinaus problemlos essbar

Vielleicht ist nicht immer alles umsetzbar. Aber lass es auf den Versuch ankommen. Vielleicht gibt es bei dir in der Nähe ein Verschenkeregal, Foodsharing-Projekte, Too Good To Go Restaurants oder Gruppen, die gemeinsam Nahrungsmittel in großen Mengen anschaffen und dann aufteilen.

Es gibt auch solidarische Landwirtschaft, die ärmere Menschen eine Zeit lang mitfinanzieren. Wenn alle Stricke reißen, besorg dir eine Berechtigung/Anmeldung für die lokale Tafel. Dort kannst du mit Anderen Menschen vielleicht ungewollte Tierprodukte tauschen.

Das sind alles keine schönen Methoden, denn eigentlich sollte es allen Menschen in einem der reichsten Länder der Welt gut genug gehen, dass sie über Essen nicht nachdenken müssen. Mit diesem Zustand müssen wir aber erst einmal gemeinsam klarkommen und daraus das Beste machen. Es ist leider aktuell, wie es ist. Gemeinsam können wir aber bestimmt etwas Besseres erschaffen. In dieser Situation geht es jedoch erst einmal um’s eigene Wohlergehen. Dafür stehen die Chancen dank vieler netter Menschen und Projekte gut.

Kind ersticht Broccoli
Schlimm: Kind zermetzelt Brokkoli (c) pexels / cottonbro

Tipps: Günstige Nahrungsmittel

Auch wenn alles teurer wird und die Versorgungspauschalen das nicht aufgreifen, kannst du bei bestimmten Nahrungsmitteln weniger ausgeben, damit vegan mit Bürgergeld überhaupt in Reichweite kommt und trotzdem gesund ist.

Einige Tipps umfassen Nahrungsmittel, die umwelttechnisch ziemlich schlecht dastehen. Für mich rechtgfertigt eine unprivilegierte Situation allerdings im Zweifel den Konsum dieser Dinge; Das musst du selbst entscheiden. Merke: Das Problem bist an der Stelle nicht du.

  • Getreide (Vollkorn > Weißmehl)
    • Reis
    • Mehl
    • Haferflocken
    • Nudeln
  • Kartoffeln
  • Gewürze
    • Zucker
      • je ursprünglicher desto gehaltvoller
      • Süße aus Früchten > Raffinadezucker
    • Salz
    • Pfeffer
    • Kräuter: Petersilie, Schnittlauch, Basilikum (Pesto) …
  • Öl / Fette
    • Raps > Sonnenblumöl
    • Avocados (tatsächlich oft günstig)
    • Mandeln
    • Walnüsse
    • Erdnüsse
  • Hülsenfrüchte (getrocknet) -> gute Eiweißquelle
    • Linsen
    • Bohnen
    • Kichererbsen (Hummus)
    • Erbsen
  • Gemüse
    • gefroren
    • frisch (Saison ggf. beachten)
    • verarbeitet (z.B. passierte Tomaten)
    • Kohl
    • Broccoli
    • Blumenkohl
    • Pak Choi
    • Möhren
    • Kürbis
    • Süßkartoffeln
  • Obst
    • Beeren (Saison oder gefroren)
    • Apfel
    • Banane
  • Getränke
    • Leitungswasser
    • Tee

Wenn in deinem Umfeld Obstbäume, Buchen, Maronibäume oder wilder Bärlauch wachsen: Geh zur passenden Zeit vorbei und sammle dir Vorräte. Verarbeite sie.

Ein paar Beispiele: (selbst abwechlsungsreich gestalten)

Früh sind Haferflocken mit Beeren, Apfel, Bananen und Kürbiskernen eine tolle Mahlzeit. Entweder über Nacht einweichen oder kurz erwärmen. Die Konsistenz muss man mögen, es ist aber gesund und macht lange satt.

Als Mittagessen „Reis mit Scheiß“ (evtl möglichst unverarbeitete Gemüsemischung aus dem Tiefühlregal) oder Kartoffeln mit Sauerkraut und angebratenem und mariniertem Tofu (-> Asiamarkt günstiger als im Biomarkt).

Abends Brot mit Magarine und Hummus oder anderen Aufstrichen ist auch immer lecker. Dazu Möhrensticks oder eingelegte Gurken.

Du hast bessere Vorschläge? Ab damit in die Kommentare. Aber konstruktiv bleiben.

Zusatzstoffe Nutripunk pixabay 505124

Günstige Supplemente: B12 ist Pflicht

Ein Problem sind Supplemente. Die kosten in der Regel eine Stange Geld. Vitamin B12 ist aber essentiell und sollte unbedingt supplementiert werden. Am günstigsten sind entweder Tabletten aus der Drogerie oder Depotinjektionen. Für wenige Cent täglich kommst du an die ausreichende Menge – unterhalte dich dazu am besten mit eine:r (medizin-studierten) Ärztin bzw. Arzt. Auch angereicherte Nahrungsmittel sind eine Quelle, aber oft teurer.

Teurer wird es bei Omega 3 und Vitamin D. Die sind vegan etwas seltener und relativ teuer. Auf die Einzeldosis heruntergerechnet sind es dann doch keine 50 Cent täglich, aber dennoch ein Posten, der gut überlegt sein sollte. Für Erwachsene ist Omega3 durchaus mit der Ernährung abeckbar. Für Kinder und Heranwachsende sollte eine sichere DHA/EPA-Quelle ran. Vitamin D wird von der DGE als Supplement mit einer täglichen Dosis von 800 IE zwischen Oktober und Ostern empfohlen. Das gibt es in der Drogerie günstig, für Kinder vom Kinderarzt auf Rezept (dann aber leider i.d.R. nicht vegan).

Hier solltest du selbst entscheiden, wie dogmatisch du unterwegs bist. Vielleicht ändert sich die finanzielle Situation in wenigen Wochen oder Monaten. Dann kannst du immer noch die kompelett vegane Option für alle wählen. Auf jeden Fall sollte man sich nicht mit schlechten Gedanken kaputt machen, weil andere mehr Privilegien genießen und nicht auf den Euro schauen müssen. Vegan mit Bürgergeld ist eben auch eine Herausforderung, die nicht alle meistern müssen.

Aber: Das heißt nicht, dass das eine fade Ausrede sein soll. Wenn du dahinter stehst, versuche es trotzdem ernsthaft.

Entscheide du für dich.

Tipps in die Kommentare

Ich freue mich über deine Tipps, wie du finanziell fordernde Situationen meisterst.

Lebst du vegan mit Bürgergeld, Hartz4 oder sonstigen Sozialleistungen? Schreib mir auch gern eine E-Mail – oder ein anonymes Kommentar als Gast.

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Robby

Sehr guter Beitrag, ernähre mich nicht vegan, bin zu geil auf Wurst, kaufe aber wenig und zumindest Bio. Aktuell muss ich deshalb bei Bürgergeld sparsam haushalten, betreibe das aber auch bei richtigem Gehalt als „Hobby“, hasse Lebensmittel-Verschwendung, deine Tipps finden sich alle in meinem Alltag wieder. Ansonsten: Esst Hülsenfrüchte!